Ambivalenzen und Dilemmata im Führungsalltag

Die Corona-Krise hat es eindrücklich gezeigt: Zwangslagen erfordern von den Verantwortlichen oft rasches Handeln unter grossem Druck. Soll ein generelles Tragen von Masken unter Strafandrohung bestimmt werden, oder überlässt man die Entscheidung «Dafür oder Dagegen» den einzelnen Individuen? Das ist nur eines von vielen Dilemmata in der Pandemie.

Aber auch im «normalen» Alltag stehen Menschen im Allgemeinen und Führungspersonen im Besondern in Entscheidungsprozessen oft vor scheinbar unlösbaren Fragen.

Da wir täglich bis zu 20‘000 Entscheidungen treffen, müssten wir bezüglich der Art und Weise, wie wir zu diesen Entschlüssen kommen, eigentlich Experten und Expertinnen sein. Trotzdem scheint jede neue Entscheidungsfindung ein schwieriger Weg.

Es lauern Fallen und Tücken, und nur zu oft sehen wir uns nicht in der Lage, zielgerichtet und mit Leichtigkeit eine kluge Entscheidung zu treffen. Wir sehen uns hin- und hergerissen zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten oder finden keine der möglichen Lösungen attraktiv und umsetzbar. Wenn wir alle rationalen Vor- und Nachteile durchdacht, die Situation mit Freunden x-mal besprochen und das Für und Wider in schlaflosen Nächten endlos gegeneinander abgewogen haben, stehen wir vermutlich vor einem Dilemma oder befinden uns in einer ambivalenten Situation.

Ambivalenzen und Dilemmata in der Führung

Mit grossen Widersprüchen in ihrer Entscheidungsfindung müssen sich gerade auch Führungspersonen regelmässig auseinandersetzen. Sie sind keine autonomen Persönlichkeiten, sondern diversen Zwängen und Beeinflussungen ausgesetzt. Eine grosse Wahlfreiheit für ihr Führungsverhalten haben Vorgesetzte selten. Sie müssen ihre Entscheidungen nach Abwägung verschiedener, antizipierter Konsequenzen, oft unter grossem Zeitdruck, zwischen Verstand und Gefühl, Regeln und Autonomie, persönlichen Werten und der festgeschriebenen Haltung des Arbeitgebers treffen. Führungspersonen haben mehrere Rollen gleichzeitig zu erfüllen, die oft nicht miteinander korrelieren. Da es aus diesen Dilemmata letztlich keinen reibungslosen Ausweg gibt, kann Leidensdruck entstehen, der zugunsten der Arbeitszufriedenheit nicht tabuisiert, sondern bewusst angegangen werden sollte.

Intuität versus Rationalität

Welche Denkprozesse involviert sind, wenn wir vor einer Entscheidungsfindung stehen, wie Intuition und Rationalität zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und welche Techniken wir anwenden können, wenn wir mit Dilemmata und Ambivalenzen konfrontiert sind, hat der Bestseller «Schnelles Denken, Langsames Denken» (2011) des Psychologen Daniel Kahneman aufgegriffen.

Der ehemalige USA-Präsident Barack Obama verlieh Kahnemann 2013 die «Presidential Medal of Freedom». In seiner Rede erwähnte er, dass sich der Psychologe die Frage: «Was habe ich mir nur dabei gedacht?» zur Lebensaufgabe gemacht habe. Daniel Kahneman (*1934) und sein Freund Amos Tversky (1937-1996) untersuchten nämlich, wie uns das Gehirn bei Entscheidungen immer wieder in die Irre führt. Laut Kahnemann und Tversky beeinflussen zwei Denksysteme unsere Entscheidungen und Urteile: das intuitive Denken (System 1) und das rationale Denken (System 2).

  • Intuitives Denken: Wir bezeichnen den Teil des Gehirns, der früh in der Evolution entstanden ist und der Kognition der Tiere ähnelt, als «altes Gehirn». Dieses kann auf eine meist unbewusst bleibende Datenbasis von Erfahrungswerten zurückgreifen. Die Hauptaufgabe des alten Gehirns ist die Sicherstellung des Überlebens. Jede Sekunde prasseln über die Sinnesorgane hunderte von Informationen auf unser Gehirn ein. Das alte Gehirn entscheidet innerhalb kürzester Zeit, ob eine dieser Informationen ein schnelles Handeln erfordert.
     
  • Rationales Denken: Der vom evolutionären Standpunkt neueste Teil des Gehirns sitzt in der vorderen Stirnhirnrinde, dem präfrontalen Cortex. Er ist spät in der Evolution entstanden und typisch für den Menschen. Wenn ein Mensch rational über ein Problem nachdenkt, Vor- und Nachteile abwägt oder seine Zukunft plant, dann benutzt er dafür dieses Gehirnareal. Das «neue Gehirn» ist ebenfalls mit dem limbischen System verschaltet. So können und sollten bei Bedarf Emotionen unter Kontrolle gehalten und Affekte vermieden werden.

Fehleranfälligkeit intuitiver Denkprozesse

Die Ideen von Kahnemann und Tversky erreichten in Wirtschaft, Politik und im Gesundheitswesen ungeahnte Breitenwirkung. Amos Tversky starb 1996 an Krebs. Daniel Kahneman erhielt 2002 ­– als einziger Psychologe bisher – den Wirtschaftsnobelpreis für ihre gemeinsame Arbeit. In «Schnelles Denken, langsames Denken» beschreibt Kahnemann seine Erkenntnisse. Unter anderem spricht er darin über Heuristiken. Diese gehören zu den unbewussten, intuitiven Denkprozessen und werden als Kunst bezeichnet, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu praktikablen Lösungen zu kommen (Faustregeln). Diese Regeln können unter gewissen Umständen gut funktionieren, haben aber laut Kahnemann und Tversky eine hohe Fehleranfälligkeit.

Die Grenzen rationaler Entscheidungen

Es handelt aber auch kein Mensch rein rational. Der Psychologe Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin drückt es in seinem Buch «Bauchentscheidungen» folgendermassen aus: «Die Intelligenz des Unbewussten liegt darin, dass es ohne zu denken weiss, welche Regel in welcher Situation funktioniert.» Hirnforscher unterscheiden das rein spontane Bauchgefühl von der Intuition. Wenn es schnell gehen muss, entscheiden wir ohne gross nachzudenken - intuitiv. Der intuitiven Entscheidung steht eine grosse Datenbasis zur Verfügung, die dem Bewusstsein verborgen bleibt. Dieses Wissen stammt vermutlich zum grössten Teil von der individuellen Erfahrung und evtl. zusätzlich von Routine und Übung.

Kreativmethoden

Ein hilfreicher Ansatz zur Lösungsfindung bei scheinbar unlösbaren Entscheidungsprozessen können Methoden bieten, die die Metaebene ansprechen und Gefühle und körperliche Reaktionen priorisieren. Eine davon ist die Kräftefeldanalyse nach Kurt Lewin. Der Gestaltpsychologe Kurt Lewin (1890-1947) gilt als einer der wichtigsten Pioniere der Psychologie. Seine Kraftfeldanalyse ist eine Methode zur schnellen Diagnose der unterstützenden und hindernden Faktoren eines Veränderungsvorhabens.

Fazit

Einerseits kostet das sorgfältige Kalkulieren und Abwägen Zeit, andererseits kann das Gedächtnis nur eine begrenzte Menge von Informationen verarbeiten. Bei komplexen Entscheidungen, die viele Faktoren berücksichtigen müssen, ist daher das Arbeitsgedächtnis schnell überfordert. Daraus liesse sich folgern, dass eigentlich nicht die einfachen Dinge des Alltags der Intuition überlassen werden sollten, sondern vor allem die komplizierten Entscheidungen. Da diese aber oft sehr wichtig für unser Leben sind, wagen wir es nicht, alleine nur der Intuition zu vertrauen.

Ein geeignetes Vorgehen für die Entscheidungsfindung lässt sich folgendermassen formulieren:

  1. Sachlage in Ruhe überdenken
  2. Wenn sehr komplex und wenig Zeit, auf Intuition hören und entscheiden
  3. Wenn einfacher und mehr Zeit vorhanden, rational Vor- und Nachteile abwägen
  4. Situation bei beiden Vorgehen aus der Metaebene betrachten (Kreativmethode/Fallberatung einsetzen)
  5. Entschluss wenn möglich kurz aufschieben, Zeit gewinnen («darüber schlafen»)
  6. Am Schluss auch bei rationalem Vorgehen, Bauchgefühl mitentscheiden lassen

Im Fachkurs «Ambivalenzen und Dilemmata im Führungsalltag» wird einerseits die schwierige Rolle von Führungspersonen, im beruflichen Alltag rasch und erfolgreich in Entscheidungsprozessen zu agieren, beleuchtet. Andererseits gibt der Kurs einen allgemeinen Überblick zum wissenschaftlichen Hintergrund von Entscheidungsprozessen und bietet den Teilnehmenden diverse Handlungsmöglichkeiten und Methoden zum einfacheren Umgang mit Dilemmata und Ambivalenzen an.

Umgang mit Ambivalenzen und Dilemmata im Führungsalltag
Detailinformationen

Kontakt
Katrin Steger, Bildungsbeauftragte Führung/Management, Tel. 041 419 72 52 | E-Mail