Lebensqualität - Weil wir wissen, was und warum wir es tun!

Was bedeutet «Lebensqualität» in der Betreuungs- und Beziehungsarbeit? Dieses Schaufenster beleuchtet den Begriff und zeigt auf, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Menschen mit Unterstützungsbedarf die grösstmögliche Lebensqualität erhalten können.

Lebensqualität – positiv konnotiert und gleichzeitig kontaminiert

Tippt man den Begriff Lebensqualität bei einer Suchmaschine ein, vervollständigt diese die Anfrage mit Ranking, WHO, Vegan, Schweden, Städte, Faktoren, Reisen, Essen und vielen weiteren in Verbindung stehenden Nomen.

Und damit ist schon ein erster «Lagebestand» aufgenommen: mit Lebensqualität lässt sich heute fast alles anpreisen und positiv konnotieren. Der Begriff scheint jedoch gleichzeitig irgendwie kontaminiert, womit auch der Verlust einer eindeutigen Definition einhergeht. Man findet ihn und seinen «positiven Status Quo» überall, alles bringt oder steigert die Lebensqualität, die richtige Gesichtscreme, das passende Reiseziel und auch die atmungsaktive Outdoor-Jacke und vieles mehr.

Dabei werden uns stets, unglaublich schöne, beruflich überaus erfolgreiche, abenteuerlustige, finanziell potente und unabhängige Menschen vor Augen geführt. Was all diesen Werbe-Inputs eigen ist, ist der Umstand, dass Lebensqualität beinahe ausschliesslich mit Konsum und einer eher kurzen «Halbwertszeit» einher zu gehen scheint. In anderen Worten, wenig nachhaltig und eher kostenintensiv.  

Lebensqualität als zentraler Begriff in Leitbildern und Konzepten

Nun mag man sich fragen wieso so viele Dienstleistungsinstitutionen, so oft auf Lebensqualität setzen in ihren Leitbildern und Konzepten?Die Antwort ist einfach und schlicht: es gibt nichts Besseres und Würdigeres. Und ja, ich meine das genauso wie ich es schreibe.

Die fachliche Betreuungs- und Beziehungsarbeit (ich schliesse hier alle agogischen, pädagogischen, assistierenden, heilpädagogischen pflegerischen, palliativen, sonder-pädagogischen und andere Tätigkeiten mit ein) verfolgt Ziele und richtet diese je nach Disziplin, Klientin und Lebenssituation individuell aus.

Das beinhaltet, dass sich damit eine fortwährende, lebenslange Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen der betreuten oder begleiteten Personen einstellt, welche die professionelle Reflektion herausfordert und vorantreibt. Es ist entgegen einiger anderer zum Selbstzweck degradierten Prozesse, ein sinnvoller Optimierungsprozess, der auf Grund der «ewigen Anpeilung» effektive, nachhaltige und lebensfreundliche Qualitätssteigerungen zulässt. In diesem Sinne muss individuelle Lebensqualität eines jeden Menschen immer Zielperspektive der fachlichen Tätigkeiten sein.                                                                                     

Um dieses Ziel zu erreichen, sind unterschiedliche Voraussetzungen nötig. Zum einen muss Wissen darüber vorhanden sein, wie sich Lebensqualität generiert und zum anderen, welche Faktoren dem einzelnen Menschen wichtig und bedeutsam also lebensqualitätsrelevant und Prioritär sind. Denn es macht wenig Sinn, viel Ressourcen in den Besuch eines Tierparks zu investieren, wenn die Schlagernacht eher nach dem Gusto der betroffenen Person gewesen wäre.

Definition von Lebensqualität

Innerhalb der unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen herrscht heute mehrheitlich Konsens darüber, dass sich Lebensqualität aus Objektiven Lebensbedingungen und einer Subjektiven Bedürfnislage konstruiert, deren Passung durch den Menschen individuell beurteilt wird.

Dienstleistungsinstitutionen und Fachdisziplinen müssen sich auf diesem Hintergrund fragen, wie fähig sie sind Bedingungen und Angebote zu schaffen in denen unterschiedliche Formen von Lebensqualität für den einzelnen Menschen erfahrbar, lernbar und gestaltbar sind. Und welche unterschiedlichen Zugangsbedingungen zu einem guten Leben existieren für die einzelnen Dienstleistungsnutzerinnen und -nutzer?

Das Lebensqualitätskonzept von ARTISET

In der Lebensqualitätskonzeption von ARTISET sind für die vier Bereiche Menschenwürde und Akzeptanz, Entwicklung und Dasein, Funktionalität und Gesundheit sowie Anerkennung und Sicherheit diverse zielgebende Stichworte oder eben Kriterien vermerkt. Beginnt man auf dieser Grundlage die eigenen, erbrachten fachlichen Leistungen und / oder die institutionellen Bedingungen zu reflektieren, wird schnell klar, womit und woran sich das Individuelle (oder die Passung) in der Lebensqualität orientiert und erkennen und messen lässt.

Was tun? Möglichst viele Wahlmöglichkeiten anbieten

Bezieht man sich direkt auf den Menschen, trifft man unmittelbar auf die Autonomiefähigkeit, die Partizipationsbedingungen und die Selbstbestimmung sowie die gesundheitliche Verfassung. Je adäquater, umfassender und zahlreicher die Wahlmöglichkeiten sind, die einer Person angeboten werden, umso besser wird sie die eigene Lebensqualität gestalten, beurteilen und erleben können. Wobei es dabei weder um Erfüllung aller Wünsche noch um ein Leben ohne An- und Herausforderungen oder genereller Unbetroffenheit von Behinderung oder Krankheit geht.

Es geht dabei ganz grundsätzlich um die Möglichkeit, immer wieder für das eigene Leben wählen und entscheiden zu können. Folgen positiv oder negativ, sinnstiftend oder langweilend und als richtig, falsch oder ambivalent etc. zu erleben und diese zu korrigieren oder so zu belassen. Diese Entscheide müssen weder lebensbewegend, weitreichend noch einmalig sein. Manchmal ist es «nur» der Entscheid ob es heute der rote oder gelbe Pulli sein soll. Aber sie müssen etwas mit dem Leben zu tun haben, dass der Mensch unmittelbar lebt und leben möchte.

Damit kann der Mensch sich als Individuum wahrnehmen, sichtbar Prioritäten setzen und den eigenen emotionalen Zustand (glücklich, freudig, entmutigt, erleichtert, etc.) steuern und beeinflussen, sowie die Umgebung (Menüplan, Zimmereinrichtung, TV-Programm, etc.) mitgestalten und mitbestimmen. Daraus formt sich das individuell Bedeutsame und Prioritäre und damit auch Sinn für das eigene Leben und Wohlergehen. Das ist sichtbare Lebensqualität.

Ist diese «Passung» identifiziert, kann das Angebot der fachlichen Leistungen an die Bedürfnisse und Prioritäten des einzelnen Menschen besser angepasst werden. Dies ist insbesondere bei Menschen wichtig, die von sehr schweren Behinderungen betroffen sind und Fachleute oft nur raten können was sich die Person für ihre unmittelbare Situation oder ihr Leben wünscht.

Wobei: Bedürfnisse oder Wünsche können selten substituiert werden. Wer sich nach einer Freundin oder nach einem Freund sehnt, wird mit einem Ausflug in den Zoo nicht auf Freundschaft verzichten und zufrieden sein. Aber wenn bekannt ist, dass sich jemand nach Freundschaft sehnt, wird darüber nachgedacht, wie die Person unterstützt werden kann, einen Freund oder eine Freundin zu finden und Freundschaft zu leben.

Die Würde jedes Daseins: Ein Leben mit hoher Lebensqualität

Lebensqualität darf nicht davon abhängig sein, ob man selbst dafür Verantwortung übernehmen kann. Die Herstellung, der Erhalt und der Ausbau von Lebensqualität ist die Aufgabe und Zielperspektive professionell Tätiger.

Wir sind erst dann mit unseren Angeboten wirklich erfolgreich, wenn es uns gelingt,  für alle «betreuten» Menschen Lebensbedingungen herzustellen, die sie so umfassend und suffizient befähigen, ihre Lebensqualität selbst zu gestalten und beeinflussen, dass wir Fachleute bereit wären mit ihnen zu tauschen!

Denn ein Leben mit hoher Lebensqualität bedeutet, dass man «grundsätzlich» oder mehrheitlich an dem Leben, das man lebt, nichts oder nur wenig verändern möchte. Und genau darin liegt die Würde eines jeden Daseins.

Quellen

Felder, Franziska (2005): Lebensqualität: Zielperspektive für die Sonderpädagogik

Hoyningen Süess, Ursula (2013): Ethik und Behinderung: ein sonderpädagogischer Prozess, SZH Kongress Bern

Liesen, Christian (2016): Notizen und Unterlagen vom Kaderanlass der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern

Oberholzer, David (2013): Lebensqualität Menschen mit Behinderung unterstützen und begleiten.

Kontakt
Rahel Huber, Bildungsbeauftragte Sozialpädagogik, Tel. 079 747 02 17 I E-Mail